Option „medikamentöse Abtreibung“ – freier, privater, unkomplizierter?
Anfang der 90er Jahre geriet die Abtreibungsmöglichkeit mittels des Wirkstoffs Mifepriston und Prostaglandinen in Deutschland näher ins Blickfeld. In Zeitungsartikeln und Büchern setzen sich Frauenrechtlerinnen kritisch mit der Thematik auseinander. Mit unserem Beitrag möchten wir einen kleinen Überblick geben, wie Frauen diese Abtreibungsmethode damals einschätzten, über die Etablierung von Mifepriston und die heutigen Gegebenheiten.
Angelika C. (vollständiger Name der Autorin den Lebenshelfern bekannt)
Im April 2020 forderten Politikerinnen der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen für die Zeit der Corona-Pandemie in einem Autorinnenpapier: „Das BMG sollte in Zusammenarbeit mit der Bundesärztekammer, den Landesärztekammern und anderen Akteur*innen sicherstellen, dass ungewollt Schwangere die Option des Zugangs zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch nach WHO-Richtlinien gegebenenfalls mit telemedizinscher Begleitung haben.“1 Mit anderen Worten: eine Eigenbehandlung, zu Hause.
Eine andere Tatsache ist, dass die Anzahl der Abtreibungen mit dem Wirkstoff Mifepriston seit ihrer Zulassung in Deutschland Ende 1999 von 3% (2000)2, damals unter dem Namen RU486, auf 26% im Jahr 20193 stieg. Somit entschieden sich inzwischen ca. ein Viertel aller Frauen, die zur Abtreibung gingen, für dieses Mittel – oft in der Hoffnung, dass diese Tablette für sie die unkompliziertere Variante darstellt, ohne operativen Eingriff und ohne großes Aufsehen.
Aus gegebenem Anlass stellten wir uns folgende Fragen: Wie dachten die Frauen einige Jahre zuvor? Stellt diese Methode tatsächlich eine privatere Möglichkeit dar, wesentlich freier von einer ärztlichen Kontrolle?
Fündig wurden wir in Zitaten und Artikeln von Tageszeitungen sowie einer Buchrezension. Autorinnen wie beispielsweise Mitarbeiterinnen des Feministischen FrauenGesundheitsZentrums (FFGZ) in Berlin lehnten die Abtreibungspille ab, vor allem aus medizinischen, ethischen und politischen Gründen.
Was wurde beispielsweise kritisiert?
- mögliche starke Blutungen nach Einnahme des Mittels und der nachfolgenden Verabreichung von Prostaglandinen (bei fünf von 579 Frauen eine Bluttransfusion notwendig)
- eine unklare Blutungslänge, durchschnittlich 8-12 Tage, in manchen Fällen bis zu 45 Tagen
- Erbrechen (50%) und Durchfall (13%)
- die notwendige Einnahme von Schmerzmitteln als drittes Medikament (50-70%)
- ein langer unbekannter eventuell inkompletter Abbruch mit letztendlich erforderlicher Operation
- das Unterdrücken des Immunsystems durch Prostaglandine und die Erhöhung der Herzrate mit dem Risiko eines Kreislaufzusammenbruchs
- der Tod von mindestes acht Frauen in den USA nach legalen Abtreibungen mit Prostaglandinen sowie einer Frau aus England im Jahr 1991 (Anm. der Autorin: Auswahl von Fällen)
- ein enormer Zeit- und Entscheidungsdruck
- „Bereits existierende Abbruchmethoden, die für die Mütter „schonender“ wären, kämen „nur selten zum Einsatz“…“4
- die suggerierten „Vorstellungen“ (durch das Wort Pille), „dieses Verfahren sei privater, unkomplizierter oder freier von ärztlicher Kontrolle“5 sowie Falschinformation der Frauen über „das umständliche Verfahren und die immensen Nebenwirkungen“6
Eine scheinbar größere Privatsphäre konnte von den Autorinnen Renate Klein, Janice G. Raymond und Lynette J. Dumble, alle drei Feministinnen, in ihrem Buch „Die Abtreibungspille RU486. Wundermittel oder Gefahr?“ „höchstens beim Abgang des Embryos, der „erfolgt nämlich zu Hause – oder sonstwo, zum Beispiel bei der Arbeit oder im Bus.“7 entdeckt werden. Vor- und Nachuntersuchungen und die Einnahme der beiden künstlichen Hormone unterlägen „strenger ärztlicher Kontrolle“8
Weshalb konnte sich die Abtreibungspille – trotz einer zwischenzeitlichen Entnahme vom Markt und der anfänglich geringen Nachfrage – dennoch etablieren?
Wir möchten an dieser Stelle nur einige Etappen erwähnen.
Für die Wiederaufnahme der Produktion des Wirkstoffs Mifepriston in Frankreich setze sich der ehemalige französische Gesundheitsminister Claude Evin ein. Er sah es als „das moralische Eigentum der Frauen“9 an. Der damals frisch gewählte US-Präsident Clinton ordnete 1993 als eine der ersten Amtshandlungen das Vorantreiben der Testung, Lizenzierung und Produktion von Mifepriston in den USA an. Aber auch viele Gynäkologen und Gruppierungen auf internationaler Ebene forderten die Möglichkeit dieser Methode des Schwangerschaftsabbruchs. Nachdem sich die Verschreibung der Abtreibungspille in Deutschland für Ärzte nicht rechnete, setzte sich laut Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 07.08.2001 die damalige Bundesfamilienministerin Bergmann (SPD) dafür ein, „dass die aufwendigere „Betreuung“ der Schwangeren durch den abtreibenden Arzt höher honoriert wird, als der rund zwanzig Minuten in Anspruch nehmende chirurgische Eingriff.“10 Seitdem steigt „der Prozentsatz der Abtreibungen mit Mifegyne“11.
Hat sich für die betroffenen Frauen etwas geändert?
Aufgrund der kurzen Einnahmefrist und -möglichkeit von Mifepriston bis zum 63. Tag nach der letzten Regelblutung besteht auch in der heutigen Zeit ein großer Entscheidungsdruck. Es gibt einige Kontraindikationen, vor allem in Kombination mit Prostaglandinen wie schwere Leber- und Nierenerkrankungen, Asthma bronchiale, vermutete extrauterine Schwangerschaften wie eine Eileiterschwangerschaft u.a. Vorsicht geboten ist bei Raucherinnen, bei Frauen, die an Herzproblemen, einer Gerinnungsschwäche oder Anämie leiden – oder wenn sie mit Kortison behandelt werden. Auch die von den oben genannten Autorinnen genannten Nebenwirkungen werden beobachtet sowie Infektionen infolge der Abtreibung und in sehr seltenen Fällen toxische und septische Schocksyndrome. Weiterhin ist zu beachten, dass die Schwangerschaft vor Einnahme von Mifepriston durch einen Schwangerschaftstest, aber vor allem per Ultraschalluntersuchung bestätigt wurde. Letzteres erwähnen wir, weil sich Betroffene in dieser Situation die Frage stellen, wie schnell ein Schwangerschaftsabbruch mit dieser Methode in die Wege geleitet werden kann.
Hinsichtlich der psychischen Situation berichten Frauen, dass sie den Prozess gern wieder rückgängig machen möchten bzw. bereuen ihren Schritt.
Anzumerken ist: trotz Einnahme der Mifegyne (Mifepriston) überleben Kinder. Es gibt Ärzte, die den Versuch starten, den Betroffenen zu helfen.
Doch nach allem, was über die Abtreibungspille zu lesen ist, wäre zu überlegen: Was hilft den Frauen im Vorfeld?
Daher unser Angebot: Wenn du dich gerade in einer schwierigen Situation befindest und dich mit jemandem austauschen möchtest, sind wir gern für dich da.
Melde dich einfach unter: kontakt@abtreibung.de
Quellen:
1 Ulle Schauws MdB, Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB, Katja Dörner MdB, Canan Bayram MdB, AUTORINNENPAPIER, Recht auf Schwangerschaftsabbrüche und Beratung in der Corona-Krise sicherstellen, 22. April 2020, S.5
2 Anke Hemmerling, Brandenburg, DISSERTATION, Humboldt-Universität Berlin, 2003, Die emotionale Verarbeitung und Akzeptanz des medikamentösen Schwangerschaftsabbruches mit Mifepriston (Mifegyne ®), S.12 unter: https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/15712/Hemmerling.pdf?sequence=1
3Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Pressemitteilung Nr. 070 vom 3. März 2020, unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/03/PD20_070_233.html
4 Zitat Feministisches FrauenGesundheitsZentrum, Berlin, Artikel ALfA e.V., Werbung fuers Zuschauen: Feministinnen fuer Abtreibung mit Teilnarkose statt mit der Toetungspille Mifegyne, Homepage: Deutsche Evangelische Allianz e. V.,12.08.2001 unter: https://www.ead.de/2001/august/12082001-werbung-fuers-zuschauen-feministinnen-fuer-abtreibung-mit-teilnarkose-statt-mit-der-toetungspille-mifegyne/
5 SYLVIA GROTH UND LISA LUGER, Mitarbeiterinnen des Feministischen FrauenGesundheitsZentrums, Berlin, RU 486 — die Abtreibungspille, taz, die tageszeitung vom 12. 5. 1992, Ausgabe 3703, S.11 unter: https://taz.de/!1670585/
6 ebenda
7 Renate Klein, Janice G. Raymond und Lynette J. Dumble: „Die Abtreibungspille RU486. Wundermittel oder Gefahr?“ Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1992, taz.am Wochenende vom 23. 1. 1993, Ausgabe 3916, S. 13 unter https://taz.de/RU-486/!1633730/
8 ebenda
9 Anke Hemmerling, Brandenburg, DISSERTATION, Humboldt-Universität Berlin, 2003, Die emotionale Verarbeitung und Akzeptanz des medikamentösen Schwangerschaftsabbruches mit Mifepriston (Mifegyne ®), S.11 unter: https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/15712/Hemmerling.pdf?sequence=1
10 Zitat Süddeutsche Zeitung, 07.08.2001, Artikel ALfA e.V., Werbung fuers Zuschauen: Feministinnen fuer Abtreibung mit Teilnarkose statt mit der Toetungspille Mifegyne, Homepage: Deutsche Evangelische Allianz e. V.,12.08.2001 unter: https://www.ead.de/2001/august/12082001-werbung-fuers-zuschauen-feministinnen-fuer-abtreibung-mit-teilnarkose-statt-mit-der-toetungspille-mifegyne/
Pharmazeutische/medizinische Angaben: MEDIKURA Digital Health GmbH, München, Beipackzettel von Mifegyne®, Tabletten einsehen, abgerufen am 13.06.2020 unter: https://www.nebenwirkungen.de/datenbank/ch/beipackzettel/Mifegyne%C2%AE%2C%20Tabletten
Nordic Pharma GmbH | Aufbereitung: Redaktion Gelbe Liste Pharmindex, Stand: 01.06.2020 unter: https://www.gelbe-liste.de/produkte/Mifegyne-600-mg-Tabletten_1171992/fachinformation
RTL.de, RTL interactive GmbH, Köln, Abtreibung rückgängig gemacht: Eine Pille macht’s möglich, 15. Juni 2016, 12:00 Uhr, https://www.rtl.de/cms/abtreibung-rueckgaengig-gemacht-eine-pille-macht-s-moeglich-2944539.html
Alexandra Linder, Die Tagespost, Johann Wilhelm Naumann Verlag GmbH, Würzburg, Die zweite Chance, 24.06.2019, 15:30 Uhr, https://www.die-tagespost.de/gesellschaft/feuilleton/Die-zweite-Chance;art310,199096?fbclid=IwAR3ctc2GBvd2gRedLOKd82PyCTiDjqNb–x13GI-M5NSH_IHqigXN6nYg-E
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